Werbung* Ich bin ein sehr visueller Mensch. Damit ich etwas verstehe, muss ich es sehen. Ich brauche meinen Terminkalender neben mir, um meine Woche im Blick zu haben. Private und berufliche Termine werden farblich unterschiedlich markiert, für verschiedene Themenbereiche und Kunden haben die Fähnchen im Apple Mail unterschiedliche Farben und selbst mein Job ist visueller Natur. Ich gehe mit offenen Augen durch den Tag, sehr vieles sehe ich, weniger davon fühle ich wirklich. Ich habe 6,5 Dioptrien, wenn ich morgens aufwache, ist die Welt völlig verschwommen. Eine graue Masse. Daher gilt mein erster tastender Griff der Brille und bevor ich auch nur einen Fuß unter der Decke hervor schiebe, setze ich sie mir auf die Nase.
Kürzlich bekam ich eine Anfrage, ob ich ein Video teilen möchte. Das passiert oft und manchmal finde ich nichtmal die Zeit, mir die Videos anzusehen. Aber dieses habe ich mir angesehen und es hat mich berührt. So sehr, dass ich mir Gedanken gemacht habe wie es wäre, wenn ich in gewissen Situationen nur meine morgendliche graue Masse sehen würde, wenn ich in mich hinein hören müsste um das, was rund um mich herum passiert zu fühlen. Würde ich mich zurecht finden? Mich und die Menschen um mich herum wiedererkennen? Oder würde ich mich völlig orientierungslos verirren und verlieren. Deshalb habe ich einen Tag lang auf meine Kontaktlinsen verzichtet, nur meine Brille genommen und sie in 5 Situationen abgenommen um einmal genau darauf zu achten, wie sich eigentlich mein Tag anfühlt.
Wie eine Träne auf warmer Haut
Ich öffne die Augen und fühle, dass der untere Bereich meiner Bettdecke wärmer ist als der obere. Da scheint die Sonne schon zum Fenster herein. Der Kater liegt wie jeden Tag noch in seinem Katzenbett neben meinem. Er schnurrt. Es hört sich ein bisschen so an, als würde jemand irgendwo draußen versuchen ein Auto zu starten und es immer wieder abwürgen. Ich setze mich auf und taste nach seinem Kopf, erwische seine Nase, die sich kalt anfühlt. So als würde man jemandem eine Träne von der Wange wischen. Ein kalter Tropfen auf der warmen Haut darunter.
Wie mit 220 Sachen geradeaus
Im Büro schalte ich den Computer an. „Pling“ macht Apple Mail. „Pling.“ „Pling.“ „Plingplingpling.“ Ich weiß, dass ich heute noch ein Design für eine Webseite fertigstellen muss. Außerdem warten ein Blogpost darauf geschrieben zu werden und Fotos für zwei weitere Posts stehen ebenfalls auf der To-Do-Liste. „So little time. Try to understand that I’m trying to make a move just to stay in the game, I try to stay awake and remember my name…“ singt Tom Chaplin passenderweise aus dem Lautsprecher meines Handys. Es ist ein Kunde. Er braucht den neuen Firmenfolder doch schon in drei Tagen, die Daten müssen heute noch zur Druckerei. Ich fühle mich, als würden mich fünf Arme von hinten packen und mich zurückziehen, während ich versuche vorwärts zu rennen. Das Gefühl, alles gleichzeitig machen zu müssen und die To-Do-Liste trotzdem immer länger werden zu sehen ist ein bisschen lähmend und ich weiß einen Moment lang nicht, was ich zuerst tun soll. Die Welt scheint sich um mich herum zusammen zu ziehen, meine Hände fliegen über die Tasten, ich spreche ins Telefon, gebe Anweisungen, Minuten und Stunden vergehen und ich fühle mich wie in einem Auto. Mit 220 Sachen auf der Autobahn. Den Kopf aus dem Fenster gestreckt. Aber ich lächle, denn ich liebe dieses Gefühl alleine zu bestimmen, wohin die Fahrt geht. Das ist meine Art von Freiheit.
Wie Rose & Jack
Am Nachmittag muss ich zu einem Termin, eine Präsentation steht an. Ich möchte den Auftrag unbedingt haben, aber ich bin nicht die einzige, die anbietet. Für die Besprechung habe ich den neuen Blazer angezogen. Da ist so ein doofes Etikett hinten am Kragen. Das kratzt und es fühlt sich an, als würde irgend ein Tier meinen Nacken nach oben krabbeln wollen. Aber jetzt ist es zu spät um da noch dran rumzuschnippeln. In 10 Minuten bin ich schon dran. Während ich im Foyer sitze und mich von der telefonierenden Empfangsdame beobachtet fühle, gehe ich in Gedanken nochmal meine Präsentation durch. Einerseits freue ich mich richtig darauf zu zeigen, was ich mir überlegt habe. Andererseits habe ich Angst Blödsinn zu reden. Es ist wie wenn Rose und Jack oben am Bug der Titanic stehen, „Ich bin der König der Welt“ rufen und gleichzeitig auf der Holztür im kalten Meer liegen, kurz vor dem Untergehen. Ein komisches Gefühl. Als ich rein gerufen werde, überwiegt kurzzeitig das Holztür-Gefühl.
Wie Fernweh und eine lange Leine
Nach dem Termin bin ich noch mit meiner Schwester in der Stadt verabredet. Sie braucht eine neue Jeans und ich habe da noch einen Gutschein. Ich parke im Parkhaus und weil nirgendwo was frei ist, muss ich bis in den 3. Stock. Die enge Straße im Kreis hochzufahren fühlt sich an wie damals als Kind im Vergnügungspark der Grazer Messe. Ich wollte jedesmal mit den ganz schnellen, ganz spektakulären Dingen fahren, aber der Mut reichte schlussendlich doch immer nur fürs Kinderkarussell. Draußen auf der Straße bleibe ich kurz stehen. Die Menschen, die an mir vorbei laufen fühlen sich ein bisschen an wie riesengroße Schmetterlinge, die an mir vorbei flattern und mich ab und zu nur ganz leicht berühren. Der Bus bläst mir warme, staubige Abgase ins Gesicht und ich fühle mich wie damals in Las Vegas bei 46 Grad. Und plötzlich Fernweh. Es fühlt sich an wie eine lange Leine, an der man durchs Leben geht. Irgendwann spürt man einen Ruck und merkt, dass die Leine ganz ausgezogen ist. Einerseits fühlt man den Zug zurück nach Hause, andererseits möchte man weiter. Nach vorne. In Richtung Horizont. Und darüber hinaus, wenn man sich traut.
Wie alleinsein und das Meer
Abends sitze ich auf der Couch. Heute bin ich alleine. Ich hatte mich auf die Zeit für mich gefreut, hundert Ideen gehabt, was ich alles machen kann. Und trotzdem sitze ich nur da und kann mich nicht für ein Fernsehprogramm entscheiden. Ich bin gerne allein. Selten fühle ich mich dabei einsam, doch es gibt Tage, da habe ich das Gefühl selbst unter tausenden von Menschen der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Der einzige Mensch, der nicht im gerade angesagtesten Lokal der Stadt sitzt, der keine fancy Cocktails trinkt, der nicht die neueste Trendsportart ausprobiert, der nicht auch noch nachts an unglaublich wichtigen Projekten arbeitet. Nichtmal einen Blogpost kriege ich hin. Das Alleinsein fühlt sich an wie das Meer. Ruhig und still ist es. Und dunkel. Der Mond spiegelt sich im Wasser und wir sagen „schau wie schön“. Aber niemand sagt „schau unter die Wasseroberfläche“, denn da gibt es vielleicht etwas, das wir nicht sehen wollen. Unbekannte Tiefen oder Seeungeheuer die uns Angst machen.
Einen Tag lang so auf seine Gefühle zu achten kann auch ganz schön Angst machen. Aber zu fühlen ist auch etwas Wunderschönes und was wären wir Menschen ohne unsere Gefühle? Was mir aufgefallen ist: Menschen und Situationen rufen in mir unterschiedliche Gefühle hervor, aber Dinge die ich kenne und die mir vertraut sind, geben mir ein gutes Gefühl. Geborgenheit. Und unter all den negativen Gefühlen – Angst, Nervosität, Stress, Einsamkeit, Verletzlichkeit – sind es doch immer die Menschen die wir lieben, die positive Gefühle hervorrufen. Das „du wirst das schon schaffen“ oder ein „ich glaube an dich“ lässt uns gleich viel mutiger zur Besprechung gehen. Der Hallo-Schatz-ich-bin-zuhause-Kuss am Abend, wenn man dem Liebsten die Tür öffnet, zaubert ein kleines Lächeln ins Gesicht und plötzlich fühlen wir uns angekommen.
Und hier ist nun das Video von dem ich gesprochen habe. Schaut es euch an. Vielleicht denkt ihr ja an den einen einzigartigen Menschen, den ihr überall blind wiedererkennen würdet. Auch ohne Brille und trotz grauer, verschwommener Masse…
*In Zusammenarbeit mit Pandora.